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Tristan & Isolde von Bayreuth bis Monsegur

 
Tristan & Isolde von Bayreuth bis Monsegur Content : Die Tristan-Sage
Die Geschichte Tristans
Die Legende und die Geschichte
Der Tristan von Béroul
Der Tristan von Thomas
Der Tristan von Gottfried von Strassburg
Der Ur Tristan
Der Tristan und Isolde von Richard Wagner
Der Isoldes Gesangswettbewerb (Mild und Leise / Liebestod / Tristan & Isolde / Richard Wagner)
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Der Tristan von Béroul

 

          Berouls Sprache ist den Dialekten an der Grenze von Pikardie und Haute-Normandie verwandt (der Sprachgebrauch von Bresles?). Er entschied sich, die Geschichte von Tristran auf Pergament zu bringen, weil er - jedenfalls erhebt er diesen Anspruch: ‘Berox l’a mex en sen memoire’ - sich beßer an sie erinnert als die ausübenden zeitgenößischen Erzähler. Anfang und Ende seines Werks sind verloren. Die überlebenden Zeilen handeln von den Abenteuern von Tristan und Isolde, die sich bemühen, ihre Liebe ohne Wißen von König Mark zu leben, der die Liebenden überrascht, bestraft, und ihnen dann vergibt.

          ‘Es scheint das Werk eines Jongleurs zu sein, der sich nicht um die höfischen Gepflogenheiten kümmerte, von großer Einfachheit, mit einem Mangel an Beschreibungen, und Darstellung einer fatalen Leidenschaft, und gewalttätiger rachsüchtiger sinnlicher Personen ohne Skrupel’ - das ist das Urteil eines Modekritikers, der von den eigentlichen Qualitäten, die aus diesem Werk ein Meisterstück auf dem Gebiet der Externalisierung emotionaler Analyse machen, nichts weiß.

          Beroul erweist sich als Bearbeiter, wie alle weltlichen Schreiber, der verbleibenden Versionen der Geschichte von Tristan: der Dichter räumt es auf seine Weise ein, indem er es ablehnt, den Helden die Außätzigen, die Isolde gegriffen haben, töten zu laßen; er gibt bereitwillig zu, daß er von einer früheren, und anerkannten, Überlieferung abweicht, und färbt seine Geschichte auf eine Weise, die mehr mit seiner eigenen Vorstellung von Tristans Charakter harmonisiert: ‘preux et cortois’ (edel und höfisch), Verteidiger der Armen - trotz einiger harscher Worte an die Adreße des Pöbels.
          Beroul ist mehr Erzähler als Erfinder, der seiner Geschichte eine Aura von Sympathie gibt, die Sympathie, die sich auf seine Personen erstreckt, ohne sich besonders um die Solidität einer Konstruktion zu kümmern, die architektonischen Gesetzen spottet.

          Wenig bedeuten ihm Hierarchie oder Reihenfolge von Vorfällen oder Episoden oder das Verknüpfen von Ereignißen, Kunstgriffe, die den Autor des Chanson de Roland charakterisieren. Anscheinend bringt Beroul keine vorgefaßte Idee, die die Erzählung dominieren soll. Er akzeptiert die Geschichte wie sie kommt, und scheint sich an ihrer Entfaltung, wenn nicht an ihrer Entdeckung zu freuen. Sein Intereße gilt den menschlichen Reaktionen, so wie sie im Augenblick hervorgerufen werden: das Ausreißen von Husdent, der Besuch bei dem Einsiedler, der Mark überbrachte Brief, Isolde dem König ausgehändigt, etc. Wir neigen dazu, die persönliche Teilnahme des Dichters an diesen Szenen anzunehmen wegen seiner Fähigkeit, im einfachsten ‘mündlichen’ Stil, die Emotionen zu isolieren, die in jeder Sequenz die Atmosphäre schaffen; zum Beispiel Isolde auf dem Weg zum Scheiterhaufen oder die Flucht Tristans. Beroul ist weder Architekt, noch ein an großen Fresken arbeitender Maler, seine Stärke ist das Zeichnen von Miniaturen: das Heulen des Windes, der unter Tristans Kleider fährt und droht, ihm Körper und Glieder am Felsen zu zerschmettern, bevor er ihn sicher auf dem weichen Sand des Strandes niedersetzt; oder die humorvolle Episode, in der Tristan, als Außätziger verkleidet, diejenigen, die er haßt, in den schlimmsten Teil des Sumpfes irreführt, seine Feinde, die herrlich angetan, auf dem Weg zum königlichen Turnier, ausgerechnet ihn nach dem Weg fragen.

          Er bereitet seine Zuhörerschaft in keiner Weise vor; er taucht sie direkt in das Herz der Szene. Die Szene wird lebendig, dann nimmt er wieder den Faden einer vielleicht absichtlich glanzlosen Erzählung auf, wo die äußere Welt die wichtigste Rolle spielt. Handelt es sich darum, Emtionen oder Gewalttätigkeiten wiederzugeben, wechselt das Gesicht die Farbe, zittern die Glieder, verliert der Körper sein Blut; wenn es, im Gegenteil, nötig ist, die Handlung anzuhalten, wählt der Dichter eine aufschlußreiche Geste, die er einen Augenblick fixiert wie ein statisches Bild: der König auf dem Baum, wie er Tristan und Isolde beobachtet, Tristan auf seinen Bogen gestützt, der Einsiedler über seinen Stab gebeugt, Isolde zu Füßen des Einsiedlers - alles Figurinen, die an die illuminierten Chansonniers des Mittelalters erinnern. Diese kleinen Bilder, die allein durch Nebeneinanderstellung zum Leben kommen, wie die Bilder in den bunten Glasfenstern der Kathedralen, übermitteln das Reale oder das Traditionelle beßer als Worte. Das Entfalten der Handlung wird Realität mit Hilfe von materiellen Gegenständen, die die unbedeutenden Stunden des alltäglichen Lebens abstecken - die Scharte in der Klinge von Tristans Schwert, die Drachenzunge, die Holzspäne, das Mehl, der Sonnenstrahl auf dem Gesicht Isoldes, die Ringe an den Fingern - alles Details, die den Erwartungen eines Publikums, das konkretes Zeugnis will, entgegenkommen. Zum Beispiel leidet Isolde, im Exil in den Wäldern, fern vom Hof, Mangel an den Annehmlichkeiten des häuslichen Lebens: Milch, Salz, warme Bäder, da sie nur Liebe und kaltes Waßer hat.

          Was König Mark betrifft, der wütend ausgeritten ist und sanft gestimmt zurückkommt, annulliert die nackte Klinge zwischen den Liebenden den früheren Beweis der Blutstropfen auf dem Mehl. Auch öffnen die daraus folgenden traditionellen Gesten seinerseits für die Liebenden den Weg zurück zum Hof. Er tauscht seinen Ring aus mit dem der schlafenden Königin, legt sein Schwert an die Stelle von Tristans, hängt seinen Handschuh auf einen Ast, ‘um die Königin vor der Sonne zu schützen’, sagt Beroul, der, in diesem Punkt, die Anspielung auf die Gesetze der Ritterlichkeit ignoriert, die wahrscheinlich in einer früheren Faßung, die er benutzte, erschien, da Ring, Handschuh und Schwert die Symbole der feudalen Investitur sind. Isolde, von ihrem königlichen Ehemann den Außätzigen übergeben, findet jetzt die erneuerten Zeichen ihrer Vasallenschaft.

          Berouls Tristran scheint aus einer Gruppe unabhängiger lais (Gedichte) zusammengesetzt zu sein; man könnte auch daraus schließen, daß wir es nicht mit einem, sondern mit mehreren Autoren zu tun haben. Beroul bis Zeile 2764, dann Fortsetzung in einer mehr höfischen Version. Der Stil wechselt, Isolde sagt Tristan zweimal Lebewohl, die Sprache wird affektiert bis Zeile 3217, die uns wieder zum Jongleurstil zurückbringt. Sind dies die Variationen eines späteren Schreibers, der die Geschichte dem zeitgenößischen Geschmack anpaßte, oder haben wir es mit der Interpolierung von Heldentaten zu tun, die den Lesern, die scharf auf Romanzen à la Wace waren, gefallen sollten? Selbst wenn streng logische Widersprüche und Unwahrscheinlichkeiten in der Erzählung Berouls vorkommen (der Holzfäller stirbt zweimal, was nicht viele Leute zu bekümmern scheint), ist doch die Aura des Geheimnißes, der die Geschichte umgibt, immer noch nicht vertrieben. Zum Beispiel, was ist im Herzen der Handlung die exakte Funktion des Liebestranks? Befreit er die Liebenden von jeder Verantwortung ?

          Beroul scheint diese Hypothese zu akzeptieren, wenn der Eremit Ogrin Isolde schilt, die, in Tränen, aber ohne alle Gewißensbiße es ablehnt, sich den vom Mann des Evangeliums vorgebrachten Wahrheiten zu beugen: dem Liebestrank, sagt sie, kann man nicht widerstehen, noch gegen das Schicksal opponieren - eine Einstellung, die sich deckt mit der der Liebenden, die, diesmal reuig, bereit sind, den Wald von Morois zu verlaßen, nachdem die drei Jahre ihrer Liebes-Strafe endlich getilgt sind, denn

          ‘Lendemain de la Saint Jehan
          Aconpli furent li troi an
          Que cil vin fu determinez.’

          Ist es überraschend oder nicht, den Namen eines Heiligen zitiert zu sehen, der - trotz des Platzes, den er in der Nähe des ‘pere esperital’ innehatte - nicht auf der offiziellen Liste der wenigen Erwählten in Berouls Tristran vorkommt : André, Estiene le Martïr, Evrol, Martin, Richier, Tremor, Ylaire, Lubin, Sanson, nicht zu vergeßen... Thomas? Sie alle sind Heilige unter der Herrschaft Roms, die garantieren - seit dem Anfang des fünften Jahrhunderts, als der regionale Brauch, sie anzurufen, begann - was das Gesetz von Rom, ‘la Roma nobilis, la Roma caput mundi christiani’ (‘edles Rom, Rom, Haupt der christlichen Welt’) über den Kanon der Gehorsamkeit zu sagen hat.

          Was die geistigen Beschränkungen Tristans anbetrifft (‘oublié ai chevalerie, a seure cort et baronie’), werden sie von kürzerer Dauer sein als die Undankbarkeit, die er wenig später Mark gegenüber zur Schau stellen wird.
Warum wird zu anderen Zeiten die Wirkung des Zaubertranks so vollkommen ignoriert? Würde er nicht eine angemeßene Verteidigung für die Liebenden sein, die seine Wirkung hätten enthüllen können, als sie der List mit der Mehlblume zum Opfer fallen, und zum Scheiterhaufen verurteilt werden? Statt deßen beteuern sie ihre Unschuld trotz überwältigender belastender Beweise. Später, nachdem sie das Exil im Wald aufgegeben haben und zu einem scheinbar normalen Leben zurückgekehrt sind, geben sie wieder der Anziehungskraft, die sie aufeinander ausüben, nach, ohne weitere Entschuldigungen oder Erklärungen, während der Liebestrank - drei Jahre sind vergangen - zu wirken aufgehört hat. Lieben sie sich jetzt wirklich?

          Beroul stellt sich auf die Seite der Liebenden. Er teilt ihren wilden Haß auf die ‘lozengier’ (die Verräter, die Neidlinge), die in den lyrischen und satirischen Stücken der Okzitanischen Liederbücher zahlreich vertreten sind; in diesem Urteil stimmt er mit dem gemeinen Volk überein, und was überraschender ist, mit dem Einsiedler, der den berühmten Brief schreibt, auch wenn letzterer ihn reinwäscht, wie es sich gehört, mit der Beschwörungsformel : ‘Vale!’.

          Wer wird als erster einen Stein auf diesen Mann der Kirche werfen, wenn man bedenkt, daß sich fünfzig Jahre nach dem Tode von Thomas Beckett, Sohn eines Londoners und einer syrischen Mutter, die Mitglieder der Universität Paris, gegründet vom Beichtvater des heiligen Ludwig (König Ludwig IX. von Frankreich), über der Frage, ob die Seele des Erzbischofs im Himmel oder in der Hölle wäre, sich gegenseitig zerrißen haben - so groß war der Zweifel an der Orthodoxie der Frömmigkeit von Thomas à Beckett.

          Obwohl er sich mit einer Ethik zufriedenzustellen scheint, die auf Toleranz, auf Annahme des Unvermeidlichen und Weigerung, über die Schöpfung zu urteilen (andere werden offener Partei ergreifen) basiert, muß Béroul das moralische Problem im Herzen der Tristran Geschichte gesehen haben. In einer Gesellschaft, selbst einer unmoralischen, für die die Suche nach Genuß zu einer Jagd sublimiert wird, die abgesteckt ist mit Hindernißen, die instrumental für die Veredelung der Seele sind, wie es von dem frisch zum Ritter in Sachen Erlösung Geschlagenen verlangt wird, unterhält der Dichter, vielleicht unbewußt, die reine Spiritualität eines Laien verglichen mit der permanenten Hypostasierung der ursprünglichen Erzählung durch die Eiferer, die unvermeidlich - dank dem Schreiber! - das letzte Wort haben: ‘Dex! confeßion...’.

          Beroul bewahrt viel von der Brutalität und Gewalttätigkeit, die die frühere Tradition charakterisieren: so das Haß-Motiv, eine treibende Kraft im Charakter Isoldes. Nicht Haß auf König Mark, sondern auf den Zwerg und die drei Verleumder, die sie und Tristan denunziert haben. Der Wunsch nach Rache ist stärker als die zarten Liebesgedanken, und zwar von dem Moment an, als sie erfährt, daß Tristan nach seiner Flucht von dem Pfad, der ihn geradewegs zum Scheiterhaufen führte, in Sicherheit ist.

          Was König Marks Verhalten angeht, schwankt er zwischen äußerster Grausamkeit, als er die Schuld der Liebenden entdeckt und seiner natürlichen Neigung zu Toleranz, die ihn zu einer Art Schiedsrichter macht, nicht unähnlich dem von seinen Baronen umgebenen Karl dem Großen im Chanson de Roland. Mark neigt von Natur aus zu Freundlichkeit, selbst wenn die Eifersüchtigen seinen Verdacht dauernd wachhalten, weil sein Urteil über andere erfüllt ist von Ungewißheiten, und weil er nicht diese schicksalhafte Serie von Ereignißen versteht, die die Handlungen von zwei Wesen bestimmt, denen er vertraut hatte.

          Was Tristan betrifft, entzieht er sich dem gemeinen Maß. Als hart gewordener Krieger, grausam und listig, entspringt er vollbewaffnet der vor-höfischen epischen Legende. Er handhabt Bogen, Speer und Schwert mit rücksichtslosem Geschick und flößt so den Baronen von Cornwall den heilsamsten Schrecken ein; als er von Mark gefangen worden ist, bietet er sich, wohl wißend, daß er unbesiegbar ist, zum Gerichtskampf an, der seine Unschuld beweisen wird. Er lügt kaltblütig. Berauscht vom Liebestrank verrät der Sieger über Morhot und den Drachen seinen König, die Menschen und Gott. Keine Frage für Tristan von Skrupeln, die ihn angesichts der jämmerlichen Außätzigen zurückhielten, und vergeßen sind seine Versprechungen an Mark, als Isolde zurückkehrt: moralische Werte, Verwandtschaftsbande, gesellschaftliche Beziehungen, nichts existiert außerhalb der Liebes-Leidenschaft.

          Wenn Tristan ein ungewöhnlicher Charakter ist, so ist es Isolde noch mehr. In Haß wie auch in Liebe geht sie bis zum äußersten: kein Mitleidsgefühl für ihre Feinde, keine Spur von zivilisiertem emotionalen Raffinement; nicht das geringste Zeichen edlen, ritterlichen Verhaltens. Zum Beispiel wird sie sich nicht scheuen, ihre Vertraute Brangäne physisch zu beseitigen. Beim Lesen der Folie Tristan von Bern wird klar, daß die Badeszene in Berouls Tristran weit gewalttätiger ist als ihr Gegenstück in Homers Odyßee; aber kann man von einer jungen irischen Prinzeßin, der das Urteil des Rot-glühenden Eisens versprochen ist, erwarten, die mondänen Manieren einer Debütantin zu beachten, die sich auskennt im Raffinement der Höfe des orthodoxen England ?

          Zu der Gewalttätigkeit und dem Haß, die Isoldes Charakter innewohnen, gesellen sich die Launen dieser schönen Dame: la Dona è mobile...

          Nicht, daß Beroul nicht seine ganze Sympathie der Heldin zuwendet: er wird ihr Komplize; er verbirgt nicht die Tatsache, daß sie ihn bewegt. So, wenn sie beschließt, zu Mark zurückzukehren (‘Seignors oiez de la roïne’), oder in der Szene, die dem doppeldeutigen, in der Gegenwart aller Barone abgegebenen Eid vorausgeht, als sie schwört, daß außer Mark und außer dem Außätzigen, der es ihr ermöglichte, die Furt zu durchqueren, ‘qu’entre mes cuises n‘entra home’ (‘Kein Mann ist zwischen meinen Schenkeln eingetreten’). Zu einer Zeit, als die Damen im Damensattel ritten, um alle indiskreten Spritzer zu verhindern, stellt Beroul eine der erotischsten Szenen der westlichen Literatur vor:

          ‘Yseut la bele chevaucha
          Janbe deça, janbe dela ...’

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