ADG-Paris
 

Le Petit Train d'Auteuil

 
Le Petit Train d'Auteuil Content : Colombey-les-Deux Eglises, 14 Uhr 30
Dunsa Manor (Yorkshire) Die Hunde, die Katzen
Reise zur Insel La Réunion
Golf von Bengalen, Trincomalee - Die grossen Affen
Katmandou - Cosette - Norgay Tensing
Flocken auf Auteuil - François Mauriac - Jean Racine
Fanjeaux und der Fürst der Finsternis
“Envoi de Fleurs …”, Forges-les-Eaux (Normandie), Dieppe ...
La Tour du Crieu - Sauto Barràlhos / Heckenspringer
Jean-Paul Sartre
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Reise zur Insel La Réunion

 

            Sonntag 19. März

            In diesem Café von Forges-les-Eaux, wo ich frühstücke, zeigt ein Aushang an, dass am Samstag 25. März in Bosc-Bordel die Confidentiel’s den Ball der Rekruten sicherstellen werden. Auf der Strasse haben die Tandems der Tagelöhner den “zwei, drei, vier Pferdestärken” der Arbeiter, die sie herstellen, den Platz überlassen ...

            Montag 20. März

            Gestern abend, bei einem Gegenüber Debré/Marchais das Referendum betreffend (soll man ein Ei am dicken oder am dünnen Ende anschlagen ?), Marchais scharf zu Debré : “Lassen Sie mich reden, hier sind wir nicht auf La Réunion !”

            Sonntag 26. März - La Réunion

            Das Flugzeug nach Tananarivo startet um 19 Uhr. Viele Marseiller befinden sich an Bord der Flüge von Air Madagascar. Uns werden die Plätze 1A und 1 B in der ersten Klasse angewiesen. Zartblauer Himmel über Paris. Dunkelblaue Sessel an Bord des Flugzeugs.

            Marseille, Zwischenlandung um 20 Uhr 15. Neuer Start. Rom da unten links : wir sind in der Osterwoche. Rom, ganz kleine Hauptstadt einer ganz kleinen Christenheit zwischen dem unendlich Grossen und dem unendlich kleinen. Mariner IX, die Raumsonde, kreist um den Planeten Mars und entdeckt, dass 450m3 Wasserdampf täglich von dem “roten” Planeten abgegeben werden, was Professor Monod, Nobelpreisträger, der das Gegenteil behauptet, irritieren muss.

            Diagonaler Flug über das Mittelmeer : Kreta und sein Minotaurus, Racine und der wüstenhafte Orient. Beim Überfliegen der Küsten Ägyptens, welche Überraschung, einen madagassischen Familienvater seinen dreifachen Nachwuchs mit flötenähnlicher Stimme fragen zu hören : “wer kennt Le Corbeau et le Renard ?” Gibt es Raben in Madagascar und Füchse, wie in Château-Thierry ? Glaubt Präsident Tsiranana, ehemaliger Grundschullehrer, noch an die Tugenden der französischen Klassik, so wie er an sie glaubte, als er Senator war, im Palais du Luxembourg einen Sitz hatte und sich mit unserem Vetter J. N., ebenfalls Landwirtschaftslehrer und Senator, befreundete ?

            Während des Flugs

            Man isst viel in der ersten Klasse und ... erstklassige Stücke.

            In Djibouti (25°) drehen sich die Flügel der Ventilatoren sachte in einer rimbaldischen Atmosphäre. Im Untergeschoss Toiletten “nach französischer Art”. Gendarmen und Militär in Shorts, Revolver an der Seite. Der offizielle Empfangsraum bleibt geschlossen. Eine Bodenstewardess, in Zivil, knappes Kleid auf sich bewegenden Muskeln, vornehmes Schwarz, Gesicht hart, Hüften klar umrissen, ist hier und da aktiv, als ein bebrillter alter Knopf mit Bart erscheint und ihr ins Ohr spricht : ein Ausruf von ihr, mit einem kleinen, trockenen, gezwungenen Lachen, denn der kleine Mann mit einem Papier in der Hand sieht allerdings aus wie irgendein Offizieller ...

            An Bord werden Weintrauben aus Südafrika und Erdbeeren serviert.

            Überquerung des Äquators, zwei Passagiere mit Champagner getauft, Übergabe der Diplome ...

Le Cardinal, oiseau de l'Ile de la Réunion - Photo Christophe EYQUEM

            Dienstag 28. März

            Die Boeing 707 ist gestern in Gillot gelandet, nach einer Zwischenlandung in Tananarivo unter brennender Sonne nach einem langen Flug über diesen Ozean, wo “in der immensen Breite von Capricornus bis zum Pol der Wind brüllt, heult, zischt, brummt und miaut”, wie es ein grosser Dichter des Landes so gut sagt.

            Auf der Landungsbrücke, Schock der tropischen Atmosphäre. Silhouetten gestikulieren auf der Flughafenterrasse : die Verwandten bezeigen ihre Freude. Misstrauische Behörden : die Rückflugkarte ist vorzuweisen : freundlich ist die Zöllnerin. Renault Autos überall auf der Bourbon Insel : wie auf der Insel Seguin. Auf der Küstenstrasse die ersten “Bougres” (eingeborene Kreolen von La Réunion) und Nissenhütten - St-Denis, Hauptstadt ; St-Joseph, St-Paul, St-Pierre, St-Benoît : religiöser Einfluss vor “geographischem” Säkularismus ?

            In St-Denis Halt an der Präfektur : Übergabe von Hand zu Hand eines eingeschriebenen Briefes für den liebenswürdigen Herrn D., vom Büro eines Premierministers, dessen Name überall in weisser Farbe zwischen Lothringer Kreuzen auf der Schotterdecke der embryonischen Autobahn und auf den Mauern (“verba volant” ?) zu sehen ist.

            Dann Fahrt in die Höhe zur Plaine des Palmistes und der Plaine des Caffres. Viele Kinder, viele, viele. Haben sie D. nach zwei Küssen für Lilette auf französische Art die Wiederbevölkerung diskutieren hören ?

            Nebelschwaden, jetzt, über einer Landschaft, die sich pyrenäo-normannisch will. Üppige Vegetation. Kühe, Strasse à la Française, Gras, Blumen, Bergfrische, steile Felsen, deren Gipfel sich in den Wolken verlieren. Tiere ? Keine oder fast. Kaninchen, Hasen, scheint es. Vögel ? Ein einziger, der Kardinal. Menschen ? “Bougres”, die entlang den Strassen marschieren, weich in der Hüfte und schwankender Kopf.

            Mittwoch 29. März - Saint-Pierre de La Réunion

            Nächtliche Sarabande von Mücken, offensichtlich im drei/achtel Takt.
Aufgestanden voller Mückenstiche. Spaziergang in der Stadt unter einem Himmel, der sich allmählich aufheitert und sehr schnell brennend blau wird.

            Die Strasse der Guten-Kinder, die Champs-Elysées von Saint-Pierre, mit zusätzlichen Eisenwarenhandlungen, Elektrogeräte für den Haushalt, Feingebäck. Die Post stammt aus dm XV. Jahrhundert : wird sie das XXI. Jahrhundert erreichen ? Aber eine neue Post, die schön aussieht, hat sie bereits ersetzt, näher am Seeufer. Ein von seinem Berg heruntergekommener “Bougre” kommt plötzlich zu mir und fragt mich, in seinem Dialekt, ob ich nicht eine “Münze für den Doktor” hätte. Ich habe Mitleid, reiche ihm die Münze; er flieht Hals über Kopf (nicht ohne sich unruhig in meiner Richtung umgedreht zu haben), bevor er sich in eine von einem Asiaten unterhaltene Lebensmittel-Trinkhalle stürzt.

            Zwei Schritte vom Hospital Gwendoline getroffen, Tochter eines normannischen Edelmannes, deren Vater ihre Persönlichkeit unterdrückte; bis zu dem Tag, wo sie floh, allein, bis zu La Réunion, wo sie seit fünf Jahren wohnt und wo sie, auf der Universitätsseite von Saint-Denis, eine grosse Liebe erwarb, die in den Bergen umgekommen ist. Seitdem, Kriegerwitwe in der Art von 14, geht sie mit ihrer Brille in oktogonaler Fassung und ihren langen, blond-beflaumten Beinen spazieren.

            Doktor B., Chef der Frauenabteilung des Hospitals, fürchtet seine Patientinnen genauso wie seine Kolleginnen. Er sprach mit Kusine J. ich weiss nicht, über was, noch wen, und letztere hielt ihm die Hand hin, um den Handel abzuschliessen; aber Doktor B. (volle vierzig Jahre) zieht seine Tatze brüsk zurück, während Kusine J. rot wird : ein Schwein, das doch nicht will ?

            Mittwochabend, 29. März, 21 Uhr - St-Pierre de La Réunion

            Brief an die Familie unsrer Gastgeber, wohnhaft in Appamea (Hexagon)

            “Liebe Eltern,

            Ein paar Worte, um euch zu sagen, dass wir gut in der Kolonie angekommen sind und dass eure Kinder bei ausgezeichneter Gesundheit zu sein scheinen : sie arbeiten natürlich in einem Hospital und es mangelt ihnen an nichts, da alles gratis ist : Mineralwasser, Butter, Gemüse, Erdbeerjogurt, Jogurt mit schwarzen Johannisbeeren, örtlicher Honig, brauner Zucker, Ananas, Zitronen, Orangen, Rindfleisch, Schweinefleisch, Milch, alles, alles, alles absolut kostenlos. Sind nicht unglücklich in der Hinsicht, nichts zu sagen. Haben sogar einen hübschen 4L Renault. Die Insel ist übrigens voll von dem Billancourt-Produkt. Man würde sich in Tournefeuille* (Tornefeil) im Monat Oktober glauben. Es ist überhaupt nicht kalt, es regnet von Zeit zu Zeit und abends kommt es eimerweise runter, genug, um die Waschzuber zu füllen, die die Leute eifrig rausstellen, um dieses reine Wasser, das vom Himmel fällt, aufzufangen (das, was aus dem Wasserhahn fällt, ist nur bedingt trinkbar).

            Wenn man in Gillot (das ist der Flughafen der Insel) ankommt, werfen alle schnellstens Jacke und lange Unterhose ab und machen sich ans Barfusslaufen, so gross ist die Überraschung. Danach ist es besser. Es ist luftiger als in Cayenne, da es eine Insel ist. Von Zeit zu Zeit fegt ein Zyklon die Überreste permanenter Festivitäten fort, denn an Getränk fehlt es nicht bei mangelndem Trinkwasser. Die Apotheken sind prächtig sortiert. Ärzte gibt es überall. Es wimmelt von privaten Kliniken zusätzlich zu dem Hospital, wo eure jungen Kolonialisten ihren Beruf ausüben (die Statistiken sagen : 3 Ärzte pro Einwohner). Es gibt mehr Frauen als Männer auf der Insel und jede Frau, die nicht ihren Liebhaber hat, wird als störendes Element in der Gesellschaft angesehen. Aber Liebhaber, davon gibts nicht für alle : bleibt das System der Schwarzarbeit, Überstunden. Im Hospital lässt sich Kusine J., im langen weissen Kittel, mit ihrer Lungenabhörmaschine, von ihrer zahlreichen und treuen Kundschaft mit Frau Dr J. anreden, Kundschaft, die sie abwägt, abfühlt, zurückweist, ermutigt, entmutigt, bedroht, wenn sie zudringlich werden, sie an allen möglichen Stellen nadelt, und die Krankenschwestern ruft, um ihnen zu sagen : “Nehmen Sie mir das weg !”

            Was Vetter Dr G. betrifft, nackter Oberkörper unter halboffenem Kittel, läuft er vier- oder fünfmal am Tag von der Notaufnahme zur Leichenhalle und zurück unter dem Vorwand, dass sich Fleisch in der Hitze nicht hält. Die Krankenschwestern grüssen ihn entweder mit Ehrerbietung oder mit einem Augenzwinkern, das Bände über den Zustand ihres Verhältnisses spricht. Er ist der König des Hauses, der Chef der Chefs, der Meister nach Gott, der Mann, der auf Anhieb die Farbe des Pipis im Reagenzglas bestimmt und schockiert brüllt : “das ist Absinth !” ; denn die Kranken schummeln, sie haben vor allem Angst, besonders vor diesen erbarmungslosen Ärzten, die aus der Metropole gekommen sind, um “CFA zu machen” und sich stinkreich in irgendeine Ecke des Riviera Hinterlands zurückzuziehen, während sie die anderen den Maden überlassen ...

            Die Hospitalsdirektorin, eine freundliche Fünfzigerin, terrorisiert ihren Chirurgen-Ehemann und lässt nicht zu, dass die medizinischen Praktikanten sie an ihrem ganz frisch erworbenem Wissen messen. Die Direktorin war Schreibkraft im Zivilleben ...

            Die Fortsetzung werdet ihr mündlich hören. Herzlich euch allen, von uns allen.”

Postcard  Private collection

            Donnerstag 30. März

            Gestern Morgen, Baden in der Lagune, Strand von Saint-Pierre, der prächtig sein könnte ohne diese Stücke Glas, die die Flut bringt und nicht wieder mitnimmt. Ausserordentliche Klarheit des Wassers. Auf der anderen Seite der Korallenbarriere lungern Haie herum, und an den Ufern sind Kreuze aufgestellt zur Erinnerung an die Unglücklichen, die den Fischen als Fleisch dienten.

            Auf der plaine des Maques schmecken die Walderdbeeren, wie verwirrte, errötende Teenager, nur nach Wasser. Man lässt sie mit Bedauern auf den Nadeln der filaos zurück, während sich in der grossen frischen Stille ein Holzhauer über einem Baumstumpf mächtig anstrengt und ein einsamer Spatz in kleinen Sprüngen von einem Halm zum anderen hüpft. Wie ist er so hoch hinausgekommen ?

            Die plaine des Maques beherrscht den Bergkessel von Cilaos. Ein Holzgeländer schützt vor einem ungeheuren senkrechten Abfall. Gegenüber, dahinten, der Piton des Neiges und der Taïbit Pass, von wo aus es möglich ist - zu Fuss - zum Bergkessel von Mafate zu gelangen, Zufluchtsort der “Petits Blancs”**, geschützt vor der verunreinigenden Zivilisation.

            In Saint-Louis ist es besser, nicht an Wahltagen spazierenzufahren, denn die “Bougres” errichten Steinbarrieren auf den Strassen und wenn das Auto langsamer wird, bewerfen sie es aus dem Hinterhalt mit Steinen (man zähle die Einlieferungen bei der Notaufnahme im Hospital von Saint-Pierre); der Stein ist die bevorzugte Waffe der “Bougres”, die Einzelduelle organisieren oder Spiele zu mehreren, mit “revanche” und “entscheidungsspiel” wie bei belote.

            Der “Bougre” geht nicht auf dem brennenden Asphalt, der seine blossen Füsse verletzt sondern er läuft auf den Pfaden, die mitten in den Zuckerrohrfeldern herunterkommen unter der Sonne, die ihre Haut und Knochen Wasserdampf hervorbringen lässt. Der “bougre” hat Angst, Angst wie der Hund, der ihn manchmal begleitet. Die Hunde lächeln nicht, wenn man sie ruft; sie wedeln nicht ihren ausgefransten Schwanz in der brennenden Luft, um zu bedeuten, dass sie einen nett finden, sie heben den Kopf nur, um die Flucht vorzubereiten : so machen es die “Bougres” ...

            Saint-Gilles ist le Touquet der Tropen : Avenuen, Alleen, mit Vetiver (das örtliche Stroh) gedeckte Häuser, Sandstrände, Luxus, Luxus.

            In Manapany, an diesem Ostermontag, verbirgt mein Salat von gemischtem Gemüse mit Mayonnaise eine Fliege. Ich teile es Dr Da mit, der am Vortag dort zu Mittag gegessen hat, Ostersonntag. “Ich”, sagt er, “hatte Anrecht auf die Eier” !

            Im Hospital entgegnet Flavienne T. (Verwaltungsassistentin und Frau eines Spezialisten) M., der sich wundert, ein kleines Mädchen von 14 Jahren schwanger zu sehen : “aber die meisten sind erst zwölf Jahre alt!” ...

            In Saint-Pierre, am Strand der Lagune, versammelt Marie-Hélène, “zoreille” *** Statue par excellence, da Tochter einer Bildhauer-Mutter, jeden Morgen Punkt elf Uhr eine Plejade von gebräunten Häuten, die kommen, um ihre Blondheit zu betrachten. Marie-Hélène, Kardiologin, lässt die Herzen höher schlagen und bildet sich ein, Leconte de Lisle**** zu lieben, der auf der 4. Etage am boulevard des Invalides wohnte, weil er arm war. Dort empfing er, so sagt man, Samstagabends : Catulle-Mendès, Albert Glatigny, Villiers de l’Isle Adam, Paul Verlaine, François Coppée, Sully Prud’homme und auch José Maria de Hérédia, der ein wenig stotterte. Madame Leconte de Lisle war bedeutend jünger und liebenswürdiger als ihr Mann, der, gemäss François Coppée, einen mächtigen und entblössten Schädel hatte.

Filao (Casuarina equisetifolia) - Photo Atamari

            Ostermontag, 9 Uhr - Der Vulkan

            Der Vulkan, das ist der Vulkan der Insel, da oben, der Piton de la Fournaise (Glutofen-Spitze). Wenn man von dem Küstenort Saint-Pierre aufbricht, muss man die steile, in Serpentinen angelegte Strasse über Le Tampon (Atem-Residenz der Weissen, denen die Luft ausgeht) hochfahren bis zur plaine des Casfres (in Wirklichkeit ein Hochplateau, wie alle Ebenen hier), dann entlang 25 km Forststrasse durch eine frische Landschaft, wo schwere Wiederkäuer herumgehen, dann im Zickzack auf einer kaum ausgeschilderten Piste zwischen aufgefüllten Kratern und Sandmeer, bevor man den Wall von Bellecombe erreicht, der energisch den Ansturm der heutigen Nachkommen dieser respektablen geologischen Familie zurückweist, dabei dieser Piton de la Fournaise (2525 m), der als Ausbruchskamin dient. Das ist schön, das ist bewegend und die jungen Doktor Da und Doktor Du fordern sich heraus, wer von ihnen am dichtesten an dieses Feuer der Erde herankommt; Sohlen versengt, kehren sie schnell um und gestehen sich grosszügig ein Unentschieden zu. Ein Herr, der die Szene beobachtet, versichert mir freundlich, dass der berg Cartala auf den Komoren eine ganz andere Sache sei : ”der grösste von allen”, schwört er, und er erzählt mir, wie aus diesem Feuerschlund 1961 ein Lavastrom geflossen ist und dass ein 8 mm Film existieren soll, den man noch vor kurzem auf der Insel kaufen konnte (vor dem nächsten Ausbruch ? denn dort, wie überall, hält man nicht den Fortschritt auf ...).

            Wie auch immer, ich fühle mich nicht weit entfernt vom Kult der Göttin Kali, der von den Feuer-Gehern der kleinen Stadt Ste-Rose, so wie ich sie am gestrigen heissen Nachmittagsende beobachtet habe, gefeiert wird.

            Beim Vorbeifahren mit dem Auto am Morgen brannte ein enormes Holzfeuer auf einem kleinen, reinlichen Platz, der von schnurrbärtigen, braunhäutigen und grauhaarigen Hindus wieder und wieder gefegt wurde. Bei der Rückkehr von unserem Ausflug nach Hell Bourg (Kaskaden, Berge, Nebel, Hitze) bewegte sich eine eindrucksvolle Menschenmenge in einer Prozession durch die Stadt. Um 17 Uhr, in der Einfriedung wo die Glut wartete, überall Weihrauch, Wasser, Opfergaben. Ein Autochthone sorgte für den Ablauf der Zeremonie mit der Genauigkeit des Ordners eines Beerdigungsunternehmens der guten Stadtviertel. Ein anderer, grüner Kasack mit weissen Streifen, ging um die Glut-Grube herum, leichter Schweiss auf düsterem Gesicht (vielleicht Angst ?). Während dieser Zeit gaben die Gongschläge auf den Tamburinen der inneren Vorbereitung der Freiwilligen, die Wohltaten für ihre Familien oder für sich selbst erflehten, den Rhythmus. Um 18 Uhr begibt sich der erste barfuss in die Grube und öffnet einen Pfad, Gesicht unbewegt. Der zweite Berufene wechselt die Farbe und beginnt zu laufen : man erwartet fast ermutigende Zurufe von der Menge oder schmähende. Es herrscht Stille ! Die anderen begeben sich ihrerseits auf den anfänglich geöffneten Pfad und man muss wohl feststellen, dass die Göttin Kali sie nicht genug blendet, um sie daran zu hindern, die Fusssohlen genau da aufzusetzten, wo ihr Vorgänger seine plaziert hat. Blumenkränze auf dem Kopf, brechen indessen viele fast zusammen, bevor sie die kleine, mit Wasser gefüllte Grube erreichen, die die Überlebenden empfängt : man schüttet Wasser auf das Gesicht, auf die Schultern dieser Unglücklichen, die an den ... Achseln leiden. Grüner Kasack mit weissen Streifen geht fünfmal, achtmal, zehnmal hindurch, siegreicher Überwinder, höchst glücklich. Ich hätte nicht soviel von diesem dickbäuchigen Priester erwartet, dem in Spanien die Ohren und der Schwanz ***** zugesprochen worden wären (aber hier sind wir fast in Indien !).

            Unter den farbigen Zuschauern ein ganzer Fächer von “Petits Blancs” von der Höhe, die ihr Geburtsland Bretagne im XVIII. Jahrhundert verlassen haben, Gesichter geschrumpft vor anzestraler Bitterkeit und die ihr Ostern als Zuschauer bei dieser seltsamen Vesper feiern. Auf dem Blechdach eines Nachbarhauses lasten Trauben von Zuschauern auf dem Dachstuhl, der kracht.

            Wir fahren wieder auf der Serpentinen-Strasse weiter, die sich endlos entlang der Küste windet.

            Donnerstag, April

            Die Boeing 707 hat soeben Gillot verlassen und neigt sich über eine Tragfläche. Man sieht die Lichter von Saint-Denis in der Nacht des Indischen Ozeans, während das Flugzeug Richtung Madagascar fliegt. Adieu km 12, und km 14 ... Adieu Piton des Neiges. Adieu ihr Leute von Saintonge, ihr Bretonen, Normannen, fast nackte Kolonisten, die seit Beginn der Zivilisation Schildkröten und Jamswurzeln assen, um sich besser an diesen aus dem Ozean hervorgekommenen Felsen zu klammern. Adieu ihr Malegassen, ihr Inder, ihr Casfres (und ihr Casfrinen, die von Kennern so geschätzt werden, laut Nachbar des Dr Destouches, rue Girardon). Adieu Bourbon Insel, Adieu ihr “zamants” und ihr “zézères” und hoch leben die Ségas ******, da das “Vergnügen der Liebe nur einen Moment dauert !”, gemäss Prof. Debré am Hospital Cochin (France), und da alle Welt über kurz oder lang zum Friedhof Ste-Katherine in der Touraine wird gehen müssen.

Anmerkungen

* Tournefeuille, Gemeinde am westlichen Rand von Toulouse (Hte Garonne) France.
Vorher war das Dorf in einem Wald gelegen umgeben von Blättern “Entornefeil”, daher “Tornefeil” auf languedoc (Dialekt der langue d’oc). Motto : “Alle vorwärts im Languedoc” = “Tostems a l’endavant”

** Petits Blancs : die ersten hellhäutigen Bewohner der Höhe von La Réunion; von niedrigem gesellschaftlichen Status, im Gegensatz zu den Grands Blancs, die die Landbesitzer sind.

*** Zoreille : weisse Person aus Der Metropole (France).

**** Leconte de Lisle
Französischer Dichter der Parnasse-Bewegung. Saint-Paul, Réunion 22. Oktober 1818-Voisins (Louveciennes) France 17. Juli 1894.
Nell, Gedicht von Leconte de Lisle / Musik von Gabriel Fauré op.18 n°1 ; Les Roses d”Ispahan, Gedicht von Leconte de Lisle / Musik von Gabriel Fauré op.39 n°4 ; Lydia, Gedicht von Leconte de Lisle / Music von Gabriel Fauré op. n°8.

***** Ohren und Schwänze : in Spanien, am Ende der Corrida, nach der Tötung des Stiers (estocada), bekommt der Matador Ohren und Schwanz des Tieres.

****** Sega : traditioneller Tanz, der seinen Ursprung in dem madagassischen Salegy hat, europäischer als der Maloya.

Translation : Dagmar Coward Kuschke (Tübingen)

Claude d’Esplas (Les Merlufleaux)
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